Ich arbeite derzeit an einem Buch mit dem genannten Arbeitstitel, das ich Ende 2023 als Dissertation bei Frieder Otto Wolf am Institut für Philosophie der FU Berlin einreichen will.
Darin erarbeite ich eine kulturkritische Lektüre der Phänomenologie des Geistes, für die ich mich insbesondere auf Fredric Jamesons The Hegel Variations stütze. Ich will die Phänomenologie so präsentieren, dass ihre Analysen in der zeitgenössischen Kulturkritik produktiv verwendet werden können. “Kultur” verstehe ich dabei als einen eigenständigen Gesellschaftsbereich im Unterschied etwa zu Ökonomie, Politik, Kunst oder zum Naturverhältnis. Meine Lektüre der Phänomenologie ist kritisch: Ich begreife sie – so wie Marx in der Kritik des Hegelschen Staatsrechts – als treffende Darstellung des “Falschen”.
Abstract:
Die radikale Kulturkritik der Gegenwart scheitert an zentralen Fragestellungen unserer Zeit: Der Streit um die Identitätspolitik scheint unauflösbar, der Kritik am heutigen Kulturkapitalismus gelingt es nicht, dessen Zusammenhang mit den Ideologien darzustellen, ebenso schwer zugänglich erscheint ein Verständnis der kulturellen Krisen und der damit verbundene Konjunktur der radikalen Rechten. Auch wenn die verschiedenen Richtungen der heutigen Kulturkritik wichtige Kritiken und Einsichten transportieren, so laufen sie neben ihren genannten negativen Konsequenzen in grundsätzliche theoretische Probleme. Das zeigen bereits ihre scharfen wechselseitigen Denunziationen als „reaktionär“.
Diese Problemlage der derzeitigen kulturkritischen Diskussion kann, wie ich meine, durch eine materialistisch-dialektische Kulturkritik auf Basis des Historischen Materialismus aufgenommen und produktiv gewendet werden. Hierbei handelt es sich um eine Tradition, die sich auf Vertreter:innen wie Benjamin, Krahl, Angela Davis oder Negt/Kluge berufen kann, seit mehreren Jahrzehnten aber im Grunde abgebrochen ist. Ich versuche, mich an der politisch dringlichen Neubegründung dieser Richtung der Kulturkritik mit einer Kritik der Phänomenologie des Geistes zu beteiligen.
Die Phänomenologie enthält – hier folge ich Fredric Jamesons The Hegel Variations von 2010 – eine systematische Darstellung des Gesamtzusammenhangs der Kultur zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die im Großen und Ganzen bis heute Gültigkeit beanspruchen kann. Innerhalb dieses Gesamtzusammenhangs stellt sie eine Vielzahl von kulturellen Phänomenen und kulturellen Formationen in ihrer spezifischen Beschaffenheit sowie deren komplexe Zusammenhänge untereinander dar. Im Zuge dieser Darstellung diskutiert sie auch systematisch die Grundlagen der Kulturtheorie. Dass ihr Gegenstand damals noch „Geist“, nicht „Kultur“ hieß, erklärt sich aus der sukzessiven Ablösung des Geistes- durch den Kulturbegriff ab ca. 1900.
Die Phänomenologie wird von kulturkritischen Autor:innen bis heute für ihre eigenen Analysen verwendet, unter anderem von Fanon, Butler, Horkheimer/Adorno, Debord, und vielen anderen. Sie hat die Kultur in besonders adäquater Weise zur Darstellung gebracht. Allerdings ist sie keine Kritik der Kultur, sondern eine affirmative Philosophie der Kultur, die diese als Freiheit feiert. Es ist daher eine Kritik der Phänomenologie bei Anschluss an ihre herausragende dialektische Darstellung der Kultur nötig. Dafür orientiere ich mich an der Tradition der materialistisch-dialektischen Philosophiekritik und insbesondere an Marx‘ Hegel-Kritik, beispielsweise an Marx‘ Kritik des Hegelschen Staatsrechts, die zugleich eine kritische Darstellung des modernen Staats ist. Entsprechend geht es mir in der Kritik der Phänomenologie um eine kritische Darstellung des von der Phänomenologie dargestellten Gegenstands, also um eine Darstellung der Kultur als Kritik der Kultur.
In dieser Kritik der Phänomenologie verfolge ich zwei Zielsetzungen: eine erste, propädeutische Aufgabe: mithilfe der Phänomenologie die Einleitung in eine materialistisch-dialektische Kulturkritik im Ausgang von den gegenwärtig verbreiteten kulturkritischen Ansätzen; eine zweite und hauptsächliche Aufgabe, die kritische Aufbereitung der Phänomenologie derart, dass man sie für heutige kulturkritische Anliegen systematisch und effektiv verwenden kann.
Diese kritische Aufbereitung der Phänomenologie führe ich in fünf Aspekten als Diskussion der Grundlagen der Kulturkritik durch:
- Die Phänomenologie, und entsprechend die Kultur, als Dialektik von abstrakter Sinnlichkeit (Erlebnis) und abstrakter Sprache (Kommunikation).
- Ästhetik der kulturellen Formen und herrschende Abstraktion
- Begriff der Kultur und System der Kultur
- Kulturelle Herrschaftsverhältnisse (Sexismus, Klassismus, usw.)
- Krise der Kultur
Hinzukommt als Basis der dialektischen Darstellung die Kritik der Hegelschen Geschichtsphilosophie zugunsten einer historisch-materialistischen Theorie der Entstehung, Dynamik und Krise der Kultur.