Kritische Theorie und Poststrukturalismus gelten traditionell als extreme Gegensätze. Betrachtet man jedoch spezifisch die Theorien von Marcuse und von Deleuze/Guattari, so ergibt sich ein ganz anderes Bild. Schon die Einflüsse ähneln einander, so rezipieren Marcuse wie Deleuze/Guattari (anders als Kritische Theorie bzw. Poststrukturalismus sonst) die marxistische Revolutionstheorie, den Surrealismus[2] und den Existenzialismus[3]. Mit dieser Nähe dürfte auch die herausragende Bedeutung Marcuses im französischen 1968 (anders als die anderen Kritischen Theoretiker) zusammenhängen sowie die nachfolgende Marcuse-Rezeption des Anti-Ödipus[1].
Die Auffassung des extremen Gegensatzes rührt hauptsächlich von einer Reduktion der Kritischen Theorie auf einen einseitig interpretierten späten Adorno und einer Konstruktion eines „der“ Poststrukturalismus im Singular („French Theory“). Die Kritische Theorie wäre dann von Vernunft, Autonomie des Individuums, Totalitätskritik geprägt, der Poststrukturalismus dagegen von Irrationalismus, Subjektlosigkeit, Fragmentierung. Wenn man dagegen einzelne Autor:innen spezifisch miteinander vergleicht, ergibt sich schnell ein ganz anderes Bild.