Zur kulturtheoretischen Betrachtung des Faschismus

Ein Zugang zum Faschismus, der das Problem individualpsychologisch zu fassen versucht, muss scheitern. Faschismus kann zwar nicht „objektiv-materiell“, d. h. als ein bestimmtes polit-ökonomisches Verhältnis gefasst werden (ökonomische Krise, Interessen des Monopolkapitals, racket-Kriminelle am Staatsapparat, Diktatur als Unterdrückung von Elendsrevolten usw.), sondern gerade nur durch die psychologische und ideologische Affirmation der Unterdrückung. Insofern ist der Zugriff des Freudomarxismus auf den Faschismus total richtig, also der These von Wilhelm Reich, Erich Fromm & Co., dass der Faschismus eine psychologische Dynamik darstellt.

Aber der Freudomarxismus fasst den Faschismus individualpsychologisch. Im Gegensatz dazu kann er nur kulturtheoretisch gefasst werden: Antisemitismus und Nationalismus sind Ideologien, die die ganze Kultur umfassen, es sind objektive kulturelle Formationen, die Staatsapparate, öffentliche Interpretationsmuster, repräsentative Individuen (Führer), ökonomische Bedingungen (Krise, Klasse, Imperialismus, Geldsystem), Institutionen (Recht, Polizei, Schule) und schließlich auch die Individuen umfassen.

Antisemitismus und Nationalismus lassen sich nur in dieser Objektivität erfassen und nicht am Individuum. Insbesondere die Entstehung von Antisemitismus und Nationalismus, also von Faschismus, lässt sich nur in dieser Objektivität nachvollziehen. Die „Entstehung des faschistischen Individuum“ lässt sich nicht individualpsychologisch als Übergang von einem liberalen zu einem autoritären Charakter erklären.

Bis heute ist allerdings der psychologische, subjekttheoretische Hauptzugang zum Faschismus in dieser Weise individualpsychologisch – so in der psychoanalytischen Sozialpsychologie und in der Wertkritik.

In diesem Sinn kulturtheoretisch kann die Ansätze von Hannah Arendt, die den Totalitarismus nicht allein vom Subjekt her, sondern in seinen zahlreichen ideologischen, politischen, institutionellen Facetten beschreibt, und die „Elemente des Antisemitismus“ in der „Dialektik der Aufklärung“ nennen.

Die „Studien zum autoritären Charakter“ von Adorno et alii stehen – sozusagen unentschieden – genau zwischen dem individualpsychologischen und dem kulturtheoretischen Ansatz: Sie versuchen, das „faschistische Individuum“ durch seine Charakterstruktur (autoritärer Charakter) vom liberalen Charakter zu trennen, kommen aber zu dem Schluss, dass das manifeste faschistische Individuum nicht von der Charakterstruktur abhängt, sondern von der politisch-ideologischen Gesamtkonstellation in der Gesellschaft. Die „Studien zum autoritären Charakter“ hängen damit in einem Dualismus zwischen Individualpsychologie und Kulturtheorie fest.

Insofern war auch mein Ansatz zur Faschismustheorie über „Tod des Subjekts“ falsch, weil ich dort versucht habe, rein eine Logik des Individuums aufzufinden, das zum faschistischen Individuum umkippt. Dieses Umkippen müsste vielmehr als Umkippen einer Kultur zum Faschismus beschrieben werden, d. h. es geht nicht in der Immanenz eines Individuums.

Bei all dem bleibt aber, dass sich das Umkippen zum Faschismus auch am Individuum vollzieht. Das ist aber nur im Kontext einer Kultur eine faschistische Logik, es ist aber nicht als Immanenz eines Individuums in seinen internen Widersprüchen ein Umkippen zum Faschismus. So habe ich es jedoch zu beschreiben versucht.

Trotzdem gibt es die realen Übergänge von Individuen zum Faschismus: Jeder Nazis ist auch individuell Nazi geworden, sei es Hitler oder auch heute die einzelnen Leute. Man müsste diese realen individuellen Übergänge dahingehend verstehen, dass sich in den einzelnen Leuten das große Umkippen vollzieht.