Antifaschismus und Kulturrevolution

Seit einiger Zeit gibt es eine Debatte, ob man für den Antifaschismus nicht counter narratives braucht, die nicht nur argumentativ den Verstand ansprechen, sondern auch die Affekte. Neue Utopien und kollektive Entwürfe, deren Kraft uns positiv-begeisternd für etwas neues mitreißt.

Dafür wird derzeit der Surrealismus wieder interessant, der selbst ein antifaschistischer Entwurf war, eine neue politisierte Ästhetik, oder auch affekttheoretische Faschismustheorien, zum Beispiel Klaus Theweleit, Georges Bataille. Die Debatte ist wichtig, bleibt jedoch wie alle linken Debatten der letzten Jahre an zwei Punkten hängen, bleibt aber abstrakt:

1. Sie ist eine bloß publizistische Debatte darum, dass man solche utopischen Gegenerzählungen wieder einführen müsste und worauf man dabei achten müsste, ohne dass es einen wirklichen kollektiven Entwurf gibt. Es gibt vereinzelt diverse Projekte, diese wirklich zu entwickeln, aber diese bleiben eben nur Projekte. Sie ist nicht in der Lage, die Gegenerzählung durch praktische Gegenentwürfe, die man umsetzen könnte, zu konkretisieren: zum Beispiel wie aktuell eine Gegenöffentlichkeit oder eine Kommune (Alternative zur Familie) aussehen könnte.

2. Die in der Debatte vorgeschlagenen „ästhetischen“ Praktiken bleiben an der Oberfläche: Es werden Memes auf social media, Website- oder Flugblatt-Design, Graffiti, Aussehen von Demos diskutiert. Letztlich ist das aber nur eine politisch verwendete Kunst, ein politisches Design. Die surrealistische Diskussion geht tiefer: Es geht um die Aufhebung der Kunst ins Leben, also auch die Aufsprengung einer auf einen „ästhetischen“ Bereich begrenzten Ästhetik. Die surrealistische Kulturrevolution bezieht sich vielmehr auf die ästhetische Seite unserer Beziehungen, also die Sinnlichkeit, Sprache, die Erfahrung.

3. Die Debatte stellt sich unter Kulturrevolution bloß den Aufstand, den leidenschaftlichen Zusammenschluss der Mensch vor: Das Ereignis, in dem die Phantasie real wird, der Rausch der Revolte, das Fest. Aber wie geht es weiter, wenn der Aufstand vorbei ist? Kehrt dann alles zum Alten zurück? Das kann nicht die Lösung sein, und es ist auch keine praktikable Strategie gegen den Faschismus. Deshalb ist die Frage zu stellen, wie die Kulturrevolution in den realen Beziehungsweisen unseres Alltags (Gegenöffentlichkeit, Kommune) Einzug halten und auf Dauer gestellt werden kann.