Subjekt und Ideologie außerhalb der imperialistischen Zentren?

Kann eine Theorie von bürgerlich-kapitalistischer Subjektivität und Ideologie für Gesellschaften der Semiperipherie und Peripherie in derselben Weise gelten wie für die Metropolen?

Die Frage hat sich mir jedenfalls gestellt, als ich in Ägypten unterwegs war. Man könnte die Situation dort mit dem Europa des 19. Jahrhunderts vergleichen, vor der „Verbürgerlichung des Proletariats“, als Proletariat und Landbevölkerung zwar Teil des Kapitalismus, aber trotzdem noch nicht vollständig integriert waren.

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Zur Kritik der Theorie des autoritären Charakters

Die folgenden Thesen habe ich für das Tagesseminar „Der autoritäre Charakter und die reaktionären Tendenzen der Gegenwart“ am 27.4.2019 in Berlin geschrieben.

Meiner Kritik liegt diese Fragestellung zugrunde: Was sind die Bedingungen, die das subjektive Potential („Massenbewusstsein“, „Mentalität“) für das Umkippen der Gesellschaft nach Rechts (AfD, rechte Massenbewegung, Rechtsruck auch der politischen Mitte) erklären, und wie geht dieses subjektive Potential aus diesen Bedingungen hervor? Können wir die Erklärung dieses subjektiven Potentials aus den Bedingungen der Gegenwart mithilfe der Theorie des autoritären Charakters (Adorno) vornehmen?

Mit den folgenden Thesen möchte ich sagen, dass mit der Theorie des autoritären Charakters, so wie sie u. a. in Adornos „Studien zum autoritären Charakter“ formuliert ist, der gegenwärtige Rechtsruck nicht verstanden werden kann (ebensowenig wie der historische Faschismus). Es bedarf der Entwicklung einer anderen Theorie des reaktionären Bewusstseins, wofür ich am Schluss einige kleine Hinweise gebe.

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Zur Diskussionskultur der Linken

Vor kurzem erschien eine wütende Replik auf einen Text von mir: Sie sprach meinem Text eigenen Sinn und argumentative Kraft ab und diffamierte meine Person. Das Ziel der Replik war es, meine Argumentation für die Debatte zu entqualifizieren und mich aus ihr hinauszudrängen.

Der Text von mir war „Gegen alte und neue linke Erzählungen“, erschienen in der analyse & kritik vom Januar, die Replik war von Alexander Neupert-Doppler, in der Februarausgabe derselben Zeitung.

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Krahl

Die Frage, die sich mit Hans-Jürgen Krahl verbindet, ist folgende: Kann es eine marxistische, praktisch-revolutionäre Rezeption der Kritischen Theorie geben?

Krahl ist leider sehr früh gestorben, mit 27, und es gibt keine im eigentlichen Sinn wissenschaftlichen Texte von ihm, allerdings zahlreiche Reden, Manuskripte, und kleinere veröffentlichte Texte.

Bei Krahls Texten ist eine Sache schwierig: Er schreibt und spricht immer in einer eigenartigen Vermengung von Agitator, politischer Strategie und Theorieinteresse. Das macht die Bezugnahme auf Adorno dann z. T. auch widersprüchlich.

Einige Hinweise für das Studium Krahls:

http://audioarchiv.blogsport.de/2010/02/23/material-zu-hans-juergen-krahl/

http://theoriepraxislokal.org/rev+s/Krahl2.php

http://theoriepraxislokal.org/rev+s/krahl.php

„Neue linke Erzählung“?

In letzter Zeit stolpere ich ziemlich oft darüber, dass bestimmte Teile der (radikalen) Linken die bürgerlichen Ideale Freiheit, Gleichheit, Solidarität hochhalten.

Sebastian Friedrich hat ein Buch herausgegeben mit dem Titel „Neue Klassenpolitik“. Er schreibt darin:

„Die Koordinaten linker Politik sind Gleichheit und Freiheit. Gleichheit im ökonomischen Sinne als gleiche Teilhabe aller am Reichtum einer Gesellschaft, Freiheit im Sinne der freien Entfaltung, und beide gedacht als sich wechselseitig bedingend.“ (https://www.neues-deutschland.de/…/1104663.linke-gesellscha…)

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Marxistisch? Linksradikal?

Ich bin im Lauf des letzten Jahres dazu gekommen, dass man die Begriffe „marxistisch“ und „linksradikal“ irgendwie durch andere ersetzen muss (was natürlich auch eine Bedeutungsänderung bedeutet). Denn wenn man sagt „marxistisch“, dann meinen die falschen Leute, dass man etwas zu ihrem Diskurs beiträgt – namentlich der Marxismus-Leninismus, das Hauptwiderspruchsdenken, Kommunismus als Aufgabe einer Partei; während die richtigen Leuten einen in die falsche Ecke stellen – also die des „offiziellen“ Marxismus.

Vom „Linksradikalen“ muss man sich mein‘ ich distanzieren, weil letztlich nur diese fundamentale Negation oder Opposition zur herrschenden Gesellschaft darinsteckt, während es ja eigentlich um die Arbeit und Emanzipation innerhalb der gegenwärtigen wirklichen Beziehungen und ihren Konflikten und Widersprüchen geht. Der Kommunismus ist die „wirkliche Bewegung“ (Marx). Hinzukommt, dass das Linksradikale aufgrund der fundamentalen Opposition letztlich in den bürgerlichen Kategorien der Konfrontation der politischen Macht denken muss, und nicht von einer gesellschaftlichen Macht von unten aus.

Durch was die Begriffe ersetzen? „Linksradikal“ kann man ersetzen durch „antikapitalistische antiautoritäre Bewegung“. Was natürlich auch eine andere Praxis beinhaltet. „Marxistisch“ muss man je nach Kontext ersetzen, z. B. „gemäß Marx“, Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft oder ähnlich.

Die rechten Mobilisierungen nach Chemnitz …

… diskutieren wir morgen (Mittwoch, 12.9.) um 19 Uhr in unserem Arbeitskreis zu Sozialpsychologie und Ideologiekritik. In dem geht es insgesamt gerade um eine Aktualisierung der klassischen Theorie des autoritären Charakters.

Bei Interesse kommt gern dazu.

Folgende Fragen sollen diskutiert werden:
a) Was ist der genaue (projektive) Gegenstand des rechten Hasses in Chemnitz, was will er erreichen, und wie begründet er sich in seinem eigenen Selbstverständnis?
b) Der Schulterschluss bzw. die Bündelung verschiedener Spektren der extremen Rechten (AfD, Pegida, „Straßen-Nazis“, Hooligans) und das Gewährenlassen der Rechten durch den Staat;
c) als auslösendes Phänomen der „Mord an einem Deutschen durch Geflüchtete“, in dem sich offenbar eine intensive emotionale Lage so sehr reflektiert, dass es unmittelbar packend für eine große Masse ist,
und das zugleich selbst schon ein projektives Phänomen ist;
d) die massenpsychologische Dynamik, in der sich viele gleichzeitig angezogen fühlen und dann als Masse und darum ihrer selbst sicher und enthemmt agieren können.