Hegel war von 1816 bis 1818 Professor in Heidelberg. Dort setzten Hegels Schüler in der Heidelberger Allgemeinen Burschenschaft die Aufnahme jüdischer Studenten durch. Es war damals die einzige Burschenschaft in ganz Deutschland, in der Juden Mitglieder werden konnten. Diese Entscheidung war durch Hegels Rechtsphilosophie beeinflusst, in der er explizit für die rechtliche Gleichstellung der Juden eintrat, eine damals bemerkenswerte Positionierung. In seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts hält Hegel programmatisch fest: „Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist.“ (Dieses Buch erschien erst 1820, allerdings hielt Hegel im Wintersemester 1817/18 in Heidelberg eine Vorlesung über Rechtsphilosophie.)
Hegel trat für die rechtliche Gleichstellung der Juden ein, obwohl er das Judentum als Religion harsch verurteilte. Besonders hervorzuheben ist hierbei Friedrich Wilhelm Carové, der als Hegel-Schüler bekannt war (und ihm im Winter 1818 nach Berlin folgte) und als ‚Führer‘ der Heidelberger Allgemeinen Burschenschaft die Entscheidung durchsetzte. Carové veröffentlichte 1818 – also im selben Jahr wie die Entscheidung – das Buch Entwurf einer Burschenschaftsordnung und Versuch einer Neubegründung derselben, das diese Reorganisation der Burschenschaft mit Hegels Philosophie begründete und explizit für die Aufnahme von jüdischen Studenten eintrat.
Ab August 1819 kam es in ganz Deutschland und darüber hinaus zu massiven antijüdischen Ausschreitungen, den Hep-Hep-Unruhen, die über mehrere Wochen hinweg anhielten. Juden wurden physisch angegriffen, jüdische Geschäfte und Häuser geplündert und demoliert. Die Hep-Hep-Unruhen waren die erste weiträumige Judenverfolgung seit dem Mittelalter, die der „sich durchsetzenden bürgerliche[n] Ökonomie“, also dem Kapitalismus, entsprangen. „Nach dem Ende der Kontinentalsperre kamen plötzlich viele billige englische Waren auf den europäischen Markt, vor allem Baumwoll- und Leinentextilien. Ökonomisch führte dies zu vielen Zusammenbrüchen, hauptsächlich in Süddeutschland. Die ‚christlichen Kaufleute‘ hatten die neuen Märkte und Möglichkeiten noch gar nicht entdeckt, und so agitierten sie lautstark gegen die ‚jüdische Konkurrenz‘.“ (Detlev Claussen) Die Hep-Hep-Unruhen führten zu intensiven publizistischen Auseinandersetzungen und spalteten die Studenten und ihre Professoren.
In Heidelberg kam es am 25. August zu besonders heftigen Ausschreitungen mit massiven Plünderungen. Die Heidelberger Studenten organisierten nun eine bewaffnete Sicherheitswache von 500 Personen für die Juden, die sich, während sich die Polizei wie gewohnt kaum blicken ließ, dem gewalttätigen Mob auf der Straße entgegengestellte. Auch wenn Hegel zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Heidelberg war, kann dieses außergewöhnliches Engagement der Heidelberger Studenten vermutlich in Zusammenhang mit seinem dortigen Wirken gesehen werden. (Hegel als alleinige Ursache dafür zu sehen wäre schon deshalb falsch, weil 1819 auch eine Reihe von Professoren in der Sicherheitswache aktiv waren.)
Als Reaktion auf die Hep-Hep-Unruhen wurde die erste deutschlandweite bürgerliche Organisation von Juden gegründet, der Verein für die Wirtschaft und Cultur der Juden, dem auch Heinrich Heine angehörte. Sein Ziel war eine bürgerliche Reform des Judentums und die Verhinderung antijüdischer Gewalt. Bei der Gründung mit dabei: wieder ein Hegel-Schüler, diesmal Eduard Gans, der später Präsident des Vereins werden sollte.
Den Zusammenhang zwischen Hegels Rechtsphilosophie und der Entscheidung der Heidelberger Allgemeinen Burschenschaft hat Shlomo Avineri recherchiert. Vgl. Shlomo Avineri, “Hegel’s Views on Jewish Emancipation“, in: Jewish Social Studies, Vol. XXV, No. 2, April 1963.
Postscriptum zu Hegels Präsenz in der Burschenschaftsbewegung:
Als Professor nahm Hegel an mehreren Versammlungen der Burschenschaften teil. In dieser Zeit waren die Burschenschaften eine deutschlandweite Studentenbewegung, die sich gegen den Despotismus richtete und in der die Begriffe Freiheit und Vaterland noch verbunden waren. Ab 1819 entwickelte sich darin allerdings ein Flügelkampf, in den Hegel involviert war. Die Bruchlinie zwischen den beiden Flügeln verlief zwischen modernen Rechten, die nationalistisch, antijüdisch und ausländerfeindlich auftrat. Hegel ergriff für den andern Flügel Partei, der bürgerliche liberale Werte vertrat, und kann durch sein Engagement eine größere Zahl von Studenten auf seine Seite ziehen. Dieser innere Widerspruch der aus den Befreiungskriegen hervorgegangenen Burschenschaftsbewegung zwischen Freiheit und Vaterland – also einer modernen bürgerlichen Linken und einer modernen bürgerlichen Rechten – trat erst 1819 nach der Ermordung von Kotzebues in Erscheinung. Zu dieser Zeit waren die beiden Flügel – in der Burschenschaftsbewegung wie auch darüber hinaus in der bürgerlichen nationalen Bewegung – noch durch gemeinsame Opposition gegen die Monarchie zusammengehalten und finden sich auch noch in der Revolution von 1848 auf derselben Seite der Barrikaden wieder. Nach der Niederschlagung dieser Revolution wird diese Allianz gespalten, und der rechte bürgerliche Flügel geht ein Bündnis mit der Monarchie ein.