Die Markennamen ‚Kritische Theorie‘ und ‚Frankfurter Schule‘

Die Ausdrücke ‚Frankfurter Schule‘ und ‚Kritische Theorie‘ werden mehr oder weniger austauschbar verwendet. Beide Ausdrücke bezeichnen einen Schulzusammenhang, der seinen Ursprung in Horkheimers Übernahme der Leitung des Instituts für Sozialforschung haben soll. In einer Kontinuität über über mehrere Generationen hinweg (Horkheimer, Adorno, Habermas, …) soll diese Schule dann bis heute Bestand haben.

Die Identifikation der beiden Ausdrücke führt jedoch zu einer Menge Konfusion und Verworrenheit, und macht es teilweise sehr schwer, über die Sache in ihrer historischen Entwicklung zu sprechen: Insbesondere weil „Frankfurter Schule“ kein wissenschaftlicher, sondern ein wissenschaftspolitischer Begriff ist, eine Marke bzw. ein „Medienname“ (Detlev Claussen)[1], der bewusst ideologisch eingesetzt wird.

Ein wesentliches Faktum hierbei ist, dass Habermas nach Adornos Tod 1969 ursprünglich gar keine Kontinuität begründen wollte – zumindest verlautbarte er dies. Jedenfalls konnte er aus inhaltlichen und politischen Gründen tatsächlich keine Kontinuität begründen, denn er unterzog die klassischen Schriften der Kritischen Theorie ja einer grundlegenden Kritik und vollzog bewusst einen Bruch mit der später dann sogenannten ‚ersten Generation‘, indem er sich vom Marxismus und der Revolution distanziert hat.

Von zentraler Bedeutung ist auch, dass die Kritische Theorie selbst ein Label, eine Marke geworden ist, die mit dem Übergang zur Großschreibung des K in ‚Kritische Theorie‘ begann, die parallel mit der Bildung des Schulzusammenhangs zu sehen ist. Dennoch wird mit der großgeschriebenen ‚Kritischen Theorie‘ teilweise die ‚erste Generation‘ als ‚wahre‘ Kritische Theorie gegen die spätere Frankfurter Schule in Stellung gebracht wurde. Diese Erhebung zu einem Label drückte sich im Übergang zur Großschreibung von ‚Kritische Theorie‘ aus, was ursprünglich in den 1930er Jahren kleingeschrieben wurde (‚kritische Theorie‘), womit also keine absteckte Marke, sondern ein bestimmter Neuansatz marxistischer Methodik gemeint war. Die Kleinschreibung wurde von anderen auch später noch in den 1970er Jahren (z. B. Alfred Sohn-Rethel, Detlev Claussen) praktiziert.

Ich werde im Folgenden jedoch bei der Großschreibung von Kritische Theorie bleiben, weil es mir gerade darum geht, einen bestimmten abgegrenzten Diskurs (oder ein Paradigma), wie er in den 1930er Jahren unter dem Direktorat von Horkheimer entwickelt wurde, zu fassen. Ich sehe diesen Diskurs zwar mit viel Sympathie, aber nicht emphatisch positiv, d.h. es geht mir bei der folgenden Kritik nicht darum, eine ‚wahre‘ Kritische Theorie zu verteidigen. Vielmehr muss auch die ‚erste Generation‘ der Kritischen Theorie eindeutig kritisiert werden (hier schließe ich an Adorno-/Marcuse-Schüler wie Krahl, Negt, Davis an). Um aber eine adäquate und präzise Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie wie mit der Frankfurter Schule (die – insbesondere Habermas – herausragende und wichtige Theorien ausgearbeitet haben) zu ermöglichen, ist es notwendig, die aktuell herschende Verworrenheit durch klare und nicht ideologische Begriffe zu ersetzen. Die Empirie der Wissenschaftsgeschichte muss zunächst redlich dargestellt werden, bevor mit der adäquaten theoretischen Auseinandersetzung mit den Produktion von Kritischer Theorie und Frankfurter Schule begonnen werden kann.

Das Label ‚Frankfurter Schule‘ wurde der Kritischen Theorie erst in den 1960er Jahren von außen angeheftet, vermutlich zum ersten Mal wurde es von Bülow 1959 in einer Rezension der Soziologische Exkurse benutzt;[2] die Geschichte der öffentlichen Etablierung des Labels in den 1960ern müsste man hier noch nachvollziehen. Nach Wiggershaus übernahm Adorno (1969 verstorben) das Label zwar zuletzt auch selbst positiv (vgl. Wiggershaus, „Die Frankfurter Schule“, S. 9), aber nach Demirovic täuscht sich Wiggershaus:[3] Ihm zufolge gibt es eine Reihe von Stellen, mit denen Adorno eher nahelegt, dass er diese Fremdbezeichnung „Frankfurter Schule“ eher ironisch akzeptiert. Davor bezeichneten die Intellektuellen, die am Institut für Sozialforschung und in seinem Umkreis tätig waren, ihre Theorie als „kritische Theorie“, um damit ihren spezifischen kritischen Marxismus zu bezeichnen (oder auch schlicht als „die Theorie“). Zu dieser Zeit gab es tatsächlich noch keine „Schule“, die ja zumindest Schüler, eigentlich auch eine einigermaßen ausgearbeitete Theorie voraussetzt. Von letzterem kann aber mehr oder weniger erst mit der Dialektik der Aufklärung gesprochen werden (die allerdings nur in kleiner Stückzahl aufgelegt wurde und bald von den Autoren zurückgehalten wurde), von eigentlichen Schülern erst ab den späten 1950er Jahren (zu dieser Zeit kam etwa Habermas ins Institut).[4]

Ab Mitte der 1950er Jahre wurde es möglich, ein Studium der Soziologie mit Curriculum und Studienabschlüssen am Institut für Sozialforschung durchzuführen. Bis dahin war das Institut eine private Forschungseinrichtung. Diese Funktion als Ausbildungsort behielt das Institut bis Anfang der 1970er Jahre. Nach Demirovic hatten Horkheimer und Adorno die ausdrückliche Absicht, Schüler*innen ihrer Theorie hervorzubringen und in diesem Sinne eine Frankfurter Schule zu begründen.[5] „Die Reden Adornos und Horkheimers zeigen ebenso wie ihr Briefwechsel, daß sie solche Erwartungen über die Formierung von nonkonformistischen Intellektuellen durch eigene theoretische Praxis hegten und mit ihrem Erfolg als akademische Lehrer außerordentisch zufrieden waren.“[6] „Frankfurter Schule“ bezeichnete – soweit zumindest Demirovic – ursprünglich diese Ausbildungsfunktion des IfS.[7] Sofern Demirovic mit dem Ursprung des Labels recht hat, ist allerdings über Demirovics Darstellung hinaus zu ergänzen, dass sich die Bedeutung von „Frankfurter Schule“ einige Jahre später von dieser Ausbildungsfunktion abgelöst und bezeichnete seither und bis heute vor allem ein Theorieparadigma oder einen Diskurszusammenhang mit verschiedenen Vertretern und Generationen.

Noch 1970 spricht Alfred Sohn-Rethel in einer öffentlichen Diskussion über die Frankfurter Schule eben nicht hiervon, sondern von „kritischer Theorie“. Und er legt dort auch dar, dass „kritische Theorie“ einen besonderen Akzent, eine besondere Bedeutung hat:

„Ich kannte vor dem Kriege, und zwar noch vor 1933, die Hauptbeteiligten an der kritischen Theorie, Adorno, Horkheimer, Benjamin persönlich. Und ich weiß, daß der Ausdruck kritische Theorie zuerst aufkam, um ein Deckwort zu haben für das Wort Marxismus, für die Leute, die ausgewandert waren in ihrer Korrespondenz mit Leuten, die zurückgeblieben waren. […] Was den Sinn dieses Ausdrucks bezweckt, hat vorhin, ich glaube Herr [Ernst-Theodor] Mohl, ganz richtig gesagt. Daß man den Akzent dieses Worts kritische Theorie nicht richtig versteht, wenn man ihn nicht im Zusammenhang mit der Nazizeit, mit den Enttäuschungen über die Sowjetunion, die kommunistische Partei in Deutschland und überhaupt alle offiziellen politischen Repräsentationen sieht, die im Namen des Marxismus standen.“[8]

Dass diese Hauptbeteiligten „kritische Theorie“ nicht lediglich als Deckwort benutzt haben, geht auch aus Horkheimers Aufsatz „Traditionelle und kritische Theorie“ (1937) hervor, in dem Horkheimer den Begriff der kritischen Theorie explizit ausarbeitete.

Noch 1978 wies Marcuse im Gespräch mit Habermas dessen „Konstruktion einer ‚interdisziplinären Sozialforschung‘ von oben als ‚völlig undialektisch‘ zurück[…], auf welche sich Habermas dann kurze Zeit später in der Theorie des Kommunikativen Handelns autoritativ beruft.“[9]

Heute bezieht sich der Ausdruck „Frankfurter Schule“ auf das Institut für Sozialforschung und weiterhin auf die ‚offizielle‘ oder ‚Hauptlinie‘, deren zentrale Protagonist*innen in Deutschland in den aufeinanderfolgenden Generationen Jürgen Habermas, Axel Honneth und Rahel Jaeggi sind. Allerdings wird nur diese Hauptlinie und ausschließlich diese als ‚Frankfurter Schule‘ gerechnet, also nicht ‚heterodoxe‘ Strömungen oder solche, die an die erste oder zweite Phase der Kritischen Theorie anschließen.

Obwohl Habermas und die ihm Nachfolgenden als die hauptsächlichen Erben der Kritischen Theorie und damit als heutige Vertreter*innen der Frankfurter Schule gelten, wollte Habermas dieses Erbe in der Tat nicht antreten bzw. die Kritische Theorie nicht weiterführen:

„Wenn es je etwas hätte zu erben gegeben, dann wäre das nach Adornos Tod 1970 gewesen. Jürgen Habermas hat dieses Erbe ausgeschlagen; für ihn hinterließ Adorno, dem er noch 1969 ‚glanzvolle Genialität‘ [Claussen zitiert hier Habermas] zubilligte, ein ‚chaotisches Gelände‘ [ebenfalls Habermas-Zitat, nun von 1971]. Und als er dreizehn Jahre später nach Frankfurt zurückkehrte, erklärte Habermas kategorisch: ‚(…) ich habe nicht die Absicht, die Tradition einer Schule fortzusetzen‘ [Habermas-Zitat von 1985]. Auf dem Namen der Kritischen Theorie lastete eine Hypothek, die Habermas nicht übernehmen wollte oder konnte – es ist ihr außerakademischer Wahrheitsanspruch.“[10]

Später wurde dann die Vorstellung einer vererbten Kontinuität bewusst produziert. „Im Zentrum steht eine invention of tradition, die mit der Theorie des kommunikativen Handelns kurz nach Herbert Marcuses Tod 1970 zum ersten Mal sichtbar, als öffentliche Entwertung der Tradition formuliert wurde.“[11] Diese Konstruktionsleistung wurde laut Claussen maßgeblich von dem Habermas-Schüler Honneth befördert. Zentral für die Konstruktionsleistung ist dessen mit Wolfgang Bonß herausgegebene Sammelband Sozialforschung als Kritik von 1982, und darin insbesondere Honneths eigener Aufsatz „Von Adorno zu Habermas. Zum Gestaltwandel kritischer Gesellschaftstheorie“.

Neben der Geschichte des Labels „Frankfurter Schule“ wäre auch die der Klein- und Großschreibung des K von „Kritischer Theorie“ zu untersuchen: Denn in den 1930er Jahren wurde „kritische Theorie“ nur klein geschrieben. Der Wechsel zeigt hier auch den Wandel des Ausdrucks „kritische Theorie“ von einer Methode und Sache hin zu einem identitätsstiftenden Label. Wann die Großschreibung genau angefangen hat, ist mir aktuell nicht bekannt und müsste recherchiert werden. Detlev Claussen schreibt hierzu: „Mit der Großschreibung des Adjektivs wurde der Anspruch auf Kontinuität eines entkernten Theoriegebäudes gewahrt [im Übergang von Adorno zu Habermas].“[12] Das legt nahe, dass die Großschreibung in den 1970ern begonnen hat, es wäre aber zu recherchieren. Möglicherweise hat die Großschreibung parallel zur Etablierung des Labels „Frankfurter Schule“ angefangen, die dann gemeinsam als Label kreiert wurde.  Die Kleinschreibung wurde aber von anderen fortgeführt, zum Beispiel von Sohn-Rethel in dem angeführten Text, nicht zuletzt außerhalb Frankfurts, an Universitäten, wo Schüler*innen von Adorno und Horkheimer dann lehrten. Insbesondere sollte da Hannover erwähnt werden, wo etwa Oskar Negt, Peter Claussen und Ernst-Theodor Mohl dann in den 1970ern hinkamen.[13] Der Ausbau der Hannoveraner TU zur Volluniversität löste einen Exodus aus Frankfurt aus und ermöglichte dort eine einmalige Situation. Das kann mit der Klein- und Großschreibung bei „Historischem Materialismus“ verglichen werden, dessen Kleinschreibung zum Teil auch heute gegen den orthodox-marxistischen „HistoMat“ weitergeführt wird.

Die Kritische Theorie heute rückblickend als ‚Frankfurter Schule‘ zu bezeichnen, dient in erster Linie der Selbstlegitimation einer erfolgreichen akademischen Schule, die dennoch mit den Grundprämissen der Kritischen Theorie gebrochen hat. Das Label ‚Frankfurter Schule‘ suggeriert eine durchgehende Kontinuität einer Schule bis heute, die tatsächlich nicht vorhanden ist. In der Übernahme des Labels steckt eigentlich eine Art Trick: Es wird eine radikale Haltung und radikale Theorietradition suggeriert, die aber faktisch nicht da ist. Vielmehr gab es einen expliziten Bruch von Habermas mit den marxistischen Grundlagen der Kritischen Theorie. Dieser Bruch wurde von den nachfolgenden Generationen so beibehalten.

Es ist die Inszenierung eines Erbes und einer Vererbung, wobei nicht jemand anders die wahren Erben sind, weil das Konzept einer familiären Generationenfolge und des Erbes selbst schon unsinnig ist. Unbenommen davon bleibt die Analyse, dass der Diskurs bzw. das Paradigma der Kritischen Theorie von anderen Personen tatsächlich weitergeführt wurde – nicht jedoch von Habermas. Diese tatsächliche Kontinuität sollte jedoch nicht als die ‚wahre‘ gegen die ‚illegitime‘ Vererbung in Stellung gebracht werden.

Den Bruch von 1970 hat Carl Hegemann sehr plastisch dargestellt:

„In unserem Gespräch zeigte sich Hegemann überzeugt, dass, wäre Krahl nicht bereits 1970 gestorben, seine eigene Biographie und auch die vieler anderer anders verlaufen wäre. Auch hätte der Abbau der Kritischen Theorie an der Frankfurter Universität, der 1970 unmittelbar nach Adornos Tod begonnen und, angeführt von Habermas, mit einer knallharten Machtpolitik durchgesetzt wurde, aufgrund von Krahls theoretischem Gewicht nicht in dieser Weise vollzogen werden können.”[14]

Die Vermischung der Vorstellungen von Frankfurter Schule mit der frühen Kritischen Theorie beschreibt Wiggershaus sehr gut:

„Als in den 60er Jahren tatsächlich das Image einer Schule aufkam, vermischte sich darin die Vorstellung einer in Frankfurt vertretenen Konzeption kritischer Soziologie, deren Exponenten Adorno und Habermas waren, mit der Vorstellung einer radikal gesellschaftskritischen, freudomarxistischen Phase des Instituts unter Horkheimers Leitung.“[15]

Durch die heutige falsche Identifizierung von Frankfurter Schule und Kritische Theorie werden „heterodoxe“ Rezeptionen der Kritischen Theorie tendenziell aus dem Narrativ ausgeklammert: Sie gelten nicht als wirkliche Nachfolger der Kritischen Theorie. Für diese heterodoxen Nachfolger muss man verschiedene Etappen der Kritischen Theorie unterscheiden, die unterschiedliche Nachfolger haben: zwischen der ursprünglichen Kritischen Theorie des Instituts für Sozialforschung unter Horkheimer (ca. 1929–1943) und der Zeit ab der Dialektik der Aufklärung (1944).[16] Am Ende der ersten Periode verlässt etwa Fromm das Institut, es gibt eine Kontroverse Staatskapitalismusthese zwischen Pollock/Horkheimer/Adorno auf der einen Seite und Neumann/Marcuse auf der anderen. Außerdem ändert Horkheimer seine Positionen zu Vernunft und Geschichtsphilosophie deutlich und nähert sich dadurch Adorno an. Diese Periodisierung ist grob und es gibt natürlich teilweise große Differenzen, in der ersten Periode etwa zwischen Horkheimer und Benjamin, oder in der zweiten zwischen Adorno und Marcuse. Die erste Periode rechtfertigt sich durch das inhaltliche und organisatorische Institutsleitung durch Horkheimer, die zweite dadurch, dass Adorno an Horkheimers Stelle getreten ist.

Nach John Abromeit produziert der Ausdruck eine Menge Verwirrung:

“The ‘Frankfurt School’ label is useful to designate in a general way a tradition of critical social theory that has certain important continuities; but the label is problematic insofar as it obscures the qualitative shifts and transformations this tradition has undergone.”[17]

Um Verwirrung zu vermeiden, empfehlen sich folgende differenzierende Bezeichnungen:

  • 1929-1943: Frühe Kritische Theorie
  • 1944-1969: Späte Kritischen Theorie
  • 1970-heute: Frankfurter Schule in ihren verschiedenen Phasen

Damit wird das Label ‚Frankfurter Schule‘ nur für die tatsächliche Schule seit 1970 verwendet. Dann können auch die Autor*innen, die in tatsächlicher Kontinuität zur frühen Kritischen Theorie (im Sinne von Horkheimer, Freudomarxismus: z. B. Alfred Lorenzer, Gunzelin Schmid Noerr, Hans-Ernst Schiller) als auch zur späten Kritischen Theorie (im Sinne von Holocaust-Studien, Adorno: z. B. die antideutsche Theorie) stehen, eingeordnet werden. Wenn die Frankfurter Schule als die Fortsetzung der Kritischen Theorie bezeichnet wird, ist es schwierig, die tatsächlichen Kontinuitäten zu benennen.

Neben der Kritischen Theorie in ihren beiden Perioden und der Frankfurter Schule hat sich in den 1960er Jahren noch ein anderer Diskurs etabliert, wie die Frankfurter Schule im Bruch mit ihr: Es handelt sich um den revolutionären marxistischen Diskurs einer anderen Schüler*innen-Generation, darunter Leute wie Kahl, Negt, Claussen, Kocyba. Krahl & Co. sind also keine Fortsetzung der Kritischen Theorie. Demgegenüber galt es hier dennoch, Kritische Theorie als Zweig des Marxismus zu begreifen.


[1] Detlev Claussen (2004): „Kann Kritische Theorie vererbt werden?“, in: Tatjana Freytag/Marcus Hawel (Hrsg.): Arbeit und Utopie. Oskar Negt zum 70. Geburtstag, Frankfurt a. M., S. 217-285, hier S. 274. Vgl. zum Mediennamen auch: Detlev Claussen (1986): Abschied von gestern, Kritische Theorie heute, Bremen, S. 5f.

[2] Laut Demirovic auf der Facebook-Diskussion zu meinem Post zu Frankfurter Schule und Kritischer Theorie vom 16. Juli 2025.

[3] Laut Demirovic auf der Facebook-Diskussion zu meinem Post zu Frankfurter Schule und Kritischer Theorie vom 16. Juli 2025.

[4] Wiggershaus meint, dass bereits in den 1930er Jahren wesentliche Merkmale einer Schule vorhanden gewesen seien, aber die Kriterien dafür erscheinen mir unrichtig. Von einer einigermaßen ausgearbeiteten Theorie und Schülern spricht er gerade nicht. Wiggershaus nennt als Kriterien einen institutionellen Rahmen, eine charismatische Persönlichkeit, ein Manifest und ein neues Paradigma. Das ist alles sicherlich förderlich für die Schulbildung, aber es macht noch keine Schule aus. (Vgl. Wiggershaus, loc. cit., S. 10) Paradoxerweise meint Wiggershaus, dass nach 1945, nach der Rückkehr, die Merkmale für eine Schule kaum mehr vorlagen (ibid.). Das scheint mir absurd.

[5] Alex Demirovic, Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule, Suhrkamp, S. 429ff. (Das ist das Kapitel „Die Lehrpraxis der Frankfurter Schule“.)

[6] Loc. cit., S. 430f.

[7] So Demirovics Kommentar in der Facebook-Diskussion zu meinem Post zu Frankfurter Schule und Kritischer Theorie vom 16. Juli 2025. In seinem Buch konnte ich eine Begriffsgeschichte von „Frankfurter Schule“ noch nicht finden. Demirovic bezeichnet allerdings nicht erst den durch Habermas neu etablierten Diskurs als Frankfurter Schule. Demirovic fundiert den Begriff also nicht inhaltlich, im Sinne eines Theorie-Diskurses, sondern bezieht dieses Label auf den faktischen Schul- und Ausbildungsbetrieb, wie er seit den 1950er Jahren am Institut für Sozialforschung aufgebaut wurde. Daher ist für Demirovic die Kritische Theorie auch schon in den 1960er Jahren „Frankfurter Schule“. Es wäre aber die Frage, ob das Label in den 1960er Jahre öffentlich darum aufgebracht wurde, um den Schulbetrieb zu kennzeichnen – vermutlich doch eher, um einen inhaltlichen Theorie-Diskurs zu kennzeichnen. Festzuhalten ist, dass sich das Label heute inhaltlich vollständig von einer durch Horkheimer oder Adorno bestimmten inhaltlichen Diskurs gelöst hat, und vielmehr die „Habermas-Schule“ bezeichnet, die sich aber durch die Herkunft aus der Kritischen Theorie, von Horkheimer und Adorno selbst legitimiert.

[8] Alfred Sohn-Rethel (1970), “Diskussionsbeitrag zu ‚Die Frankfurter Schule‘ im Lichte des Marxismus“, in: ders. (2018): Geistige und körperliche Arbeit. Theoretische Schriften 1947-1990. Teilband I, ça ira, Freiburg und Wien, S. 181-184, hier S. 181.

[9] Claussen, op. cit., S. 273. Claussen zitiert hier aus: Jürgen Habermas, Silvia Bovenschen u.a. (1978) Gespräche mit Herbert Marcuse, dort S. 16.

[10] Detlev Claussen (2004): „Kann Kritische Theorie vererbt werden?“, in: Tatjana Freytag/Marcus Hawel: Arbeit und Utopie. Oskar Negt zum 70. Geburtstag, Frankfurt a. M., Humanities Online, S. 271-285, hier S. 276.

[11] Loc. cit., S. 273.

[12] Ibid.

[13] Zur Hannoveraner Fortführung der Kritischen Theorie siehe: Gregor Kritidis (2013): „Von der Kooperation zur Konfrontation. Wolfgang Abendroth und Peter von Oertzen. Zur Struktur und Genese der ‚Marburger‘ und der ‚Hannoverschen‘ Schule“. In: Thomas Kroll / Tilman Reitz (Hrsg.): Intellektuelle in der Bundesrepublik Deutschland. Göttingen, S. 185–199.

[14] https://www.soziopolis.de/es-ging-ihm-darum-das-unwahrscheinlichste-zu-tun.html.

[15] Wiggershaus, op. cit., S. 11.

[16] Auch zu dieser Periodisierung äußert sich Sohn-Rethel in dem oben bereits genannten Text: „Es ist gar keine Frage, dass nach dem Kriege und schon während des Krieges der marxistische Gehalt der kritischen Theorie sich verflüchtigt hat.“ (Sohn-Rethel, op. cit., S. 183) Sohn-Rethel fasst hier den Begriff des Marxismus zu eng; eher ließe sich wohl sagen, dass die Kritische Theorie sich zu einem anderen Marxismus weiterentwickelt, auch wenn diese sicher sehr weit vom gewohnten Marxismus wegführen (etwa ein antiutopisches Moment, Praxisfeindlichkeit). Es gibt aber in jedem Fall einschneidende Änderungen, auf die Sohn-Rethel hier aufmerksam macht.

[17] John Abromeit (2011): Max Horkheimer and the Foundations of the Frankfurt School, Cambridge University Press, S. 4. Specifically regarding the periodization, in extension of this book: Abromeit (2016): Genealogy and Critical Historicism: Two Models of Enlightenment in Horkheimer and Adorno’s Writings, in: Critical Historical Studies, Vol. 3, No. 2, https://www.journals.uchicago.edu/doi/abs/10.1086/688404 [22.07.2025].