Allianzen von Autoritarismus und Faschismus

Den Erfolg und die Schlagkraft der radikalen Rechten kann man nur adäquat einschätzen, wenn man ihre teilweise sehr distinkten Strömungen in ihren spezifischen Verhältnissen analysiert. Das gilt sowohl für die historische radikale Rechte in den verschiedenen Ländern als auch heutzutage.

Das Gesamtphänomen der radikalen Rechten in ihren Erfolgschancen und der von ihr entwickelten Wucht wird nicht dadurch verständlich, dass man die radikale Rechte als monolithischen Block, etwa als „die Nazis“ und „die Faschos“ begreift, sondern erst durch die spezifischen, unterschiedlichen Formen ihres Zusammenarbeitens und ihrer wechselseitigen Instrumentalisierung.

Das haben in den letzten Jahren Wilhelm Heitmeyer und seine Mitarbeiter:innen unter den Konzepten der „rechten Bedrohungsallianzen“ und des „konzentrischen Eskalationskontinuums“ entwickelt (eigentlich müsste man formulieren: rechtsradikale Bedrohungsallianzen). Diese Arbeit ist äußerst verdienstvoll, weil dadurch nicht nur die deutlichen Differenzen der radikalen Rechten, sondern auch deren strategische Relevanz kenntlich werden.

Heitmeyer u.a. unterscheiden fünf Schichten im Eskalationskontinuum (die historischen Vergleiche stammen von mir):

  1. Die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Bevölkerung“, also nicht explizit politisch artikulierte, teilweise unklare oder uneingestandene rassistische, sexistische, antisemitische, nationalistische usw. Einstellungen in der Bevölkerung.
  2. Der „autoritäre Nationalradikalismus“ etwa von AfD, Pegida, Querdenken, den ich kurz als Autoritarismus bezeichnen werde. Historisch in Deutschland wäre das ungefähr mit dem rechten Flügel der DNVP unter Hugenberg – der letztlich Hitler 1933 zur ersten Koalitionsregierung verholfen hat – vergleichbar.
  3. Der bewegungsförmige Rechtsextremismus des „systemfeindlichen Milieus“: Neonazis, Identitäre Bewegung oder die Reichsbürger mit ihren Umsturzplänen. Historisch ist das ungefähr mit der SA oder dem italienischen Faschismus vergleichbar. Diese Schicht bezeichne ich mit Ernst Nolte als „Normalfaschismus“.
  4. Das „klandestine terroristische Planungs- und Unterstützungsmilieu“ für die Vernichtungstaten der Schicht (5). Dieses unterscheidet sich nur nach Heitmeyer u.a. graduell von der Schicht (5), der Unterschied besteht nur mehr darin, dass erst die Schicht (5) die Vernichtungstaten realisiert, die aber von (4) mitgetragen werden.
  5. Die „terroristischen Vernichtungsakteure“, etwa der NSU. Diese kann man zusammen mit (4) historisch mit der SS vergleichen. Ich bezeichne sie als eliminatorischen Faschismus (Nolte: „Radikalfaschismus“).

Heitmeyer u.a. zeigen damit das spezifische Ineinandergreifen, das wechselseitige Funktional-Sein dieser verschiedenen Schichten füreinander auf. Das große formale Problem dieser Analyse ist, dass sie sich die rechtsradikalen Allianzen in der Form von sogenannten „Legitimationsbrücken“ vorstellen: Sie denken diese Allianzen so, dass die noch „moderaten“ Schichten Legitimationen und Motive für die Gewalt der radikalen Schichten liefern. Von den moderaten Schichten würden Legitimationen und Motive „erzeugt“, weiter nach rechtsaußen transportiert und dort in Gewalt umgesetzt.

Diese Sprache ist nicht nur höchst eigenartig, weil sie über Legitimationen spricht, als seien sie Dinge, Produkte, die irgendwie „erzeugt“ und „transportiert“, auch „zugeliefert“, „verdichtet“, „umgewandelt“ werden können. Diese “Legimitationstheorie” ist aber auch höchst problematisch, weil sie voraussetzt, dass die radikalen Schichten tatsächlich Legitimation und Motive für ihre Gewalttaten brauchen: Als wären sie nicht für sich selbst Rassisten und Sexisten, die andere Menschen drangsalieren, verprügeln, töten. Als bräuchten sie dafür erst die “Legitimation”, also quasi den moralischen Segen der Bevölkerung. Erst wenn man Heitmeyers Analyse von der moralphilosophischen Einkleidung befreit, wird sie sinnvoll: Es geht nicht um Legitimation für Gewalt, sondern um eine gesellschaftliche Stimmung, die die Gewalt politisch und materiell unterstützt und auf deren Bestätigung und Radikalisierung die Gewalttaten zielen können.

Wenn man Heitmeyers Überlegungen unter Kritik ihrer „legitimationstheoretischen“ Sprache (die wohl von Habermas kommt?) reformuliert, wird aus ihnen allerdings eine äußerst starke und aufschlussreiche Analyse des Ineinandergreifens der Strömungen der radikalen Rechten. Ich reformuliere daher im folgenden Heitmeyers Überlegungen, führe sie weiter und ergänze sie um Vergleiche zum historischen Faschismus:

  1. Das Verhältnis des Autoritarismus (AfD etc.) zu den breiteren Bevölkerungsteilen bildet, von der politischen Mitte aus gesehen, den Einstieg in das Feld der radikalen Rechten. Dieses Verhältnis beschreibt einen Kreislauf: Die rassistischen, sexistischen, nationalistischen usw. Gedanken- und Gefühlsvorräte bilden die Basis, aufgrund derer der Autoritarismus seine Diskurse entwickeln, zum Beispiel die Ausarbeitung und Artikulierung eines spezifischen Feindbildes “der” Muslim*as durch Pegida, ausgehend von einer zugrundeliegenden rassistischen Stimmung in einer gewissen Breite der Bevölkerung. Diese Stimmungen sind zugleich die Umwelt, in der die autoritären Bewegungen an Macht und Einfluss gewinnen können. – Andererseits wirken die Autoritären mit ihren Diskursen auch auf die Bevölkerung zurück: Sie bestätigen diese in ihren Ressentiments, indem sie ihnen Ausdruck verleihen, radikalisieren sie aber auch durch weitere Hetze und Scharfmacherei, für die diese Bevölkerungsteile andererseits auch empfänglich sind. – In diesem Sinne kann man wohl auch sagen, dass in den 1920er Jahren die antisemitische und nationalistische Stimmungsmache von der DNVP (und anderen rechtsradikalen Akteuren) den Boden für den späteren Aufstieg der NSDAP bereitet hat.
  2. Gerade weil die Autoritären diese Einstiegsfunktion ins rechtsradikale Feld darstellen, sind sie für die Faschisten – sowohl für den Rechtsextremismus als auch für die Vernichtungsakteure – sehr wichtig und brauchbar. Ihr eigenes totalitäres Programm und dessen extreme Maßnahmen sind breiteren Bevölkerungsteilen nicht ohne weiteres vermittelbar, und sie bedienen sich daher der Autoritären für ihren politischen Erfolg. Die Autoritären und die von ihnen mobilisierten breiteren Kreise der Bevölkerungs bilden das, was man früher die „Massenbasis des Faschismus“ genannt hat. Der Faschismus dockt also an der im Vergleich noch moderaten autoritären Propaganda an, er bedient sich ihrer und unterstützt sie teilweise (vergleiche etwa Hitlers Wahlpropaganda oder sein Legalitätseid, oder das taktische Agieren Björn Höckes in der AfD), andererseits arbeitet er auf die weitere Radikalisierung der Bevölkerung und der autoritären Bewegung hin: sowohl mit politisch-ideologischen Mitteln als auch durch terroristische Aktionen (die spezifisch zu analysieren wären: sie können einerseits das Gefühl vermitteln, dass sie „endlich“ zur Tat schreiten und die Forderungen wirklich umsetzen, über die andere nur reden; andererseits setzen sie autoritäre Politik auch von rechts unter Druck, da diese dann „nur“ als Gerede erscheint).
  3. Für die eigene Gewaltentfaltung der Faschisten sind diese ebenfalls auf die autoritäre Bewegung angewiesen (bzw. sie zielen ja hauptsächlich auch auf diese, wie gerade dargelegt). Ohne die Vermittlungsfunktion des Autoritarismus wäre diese Gewaltentfaltung breiteren Kreisen nicht ohne weiteres vermittelbar. Die Faschisten benötigen aber diese Vermittelbarkeit, zum einen, weil sie gerade auf die Akzeptanz dieser Gewalt abzielen, zum andern, weil ohne eine breitere politische und materielle Unterstützung diese Gewalt auch gar nicht realisierbar wäre. Heitmeyer u.a. bezeichnen diese Vermittlungsfunktion als „Gewaltmembran“ (die sie wiederum in der eigenartigen „legitimationstheoretischen“ Sprache erläutern, auf die ich hier verzichte). Diese Gewaltmembran hat zwei Mechanismen: Einerseits artikulieren die autoritären Diskurse Untergangsszenarien, über Rhetoriken wie „Volkstod“ oder „Umvolkung“, die eine gewaltsame Lösung als notwendig oder zumindest in Kürze unvermeidlich erscheinen lassen, auch wenn sie selbst diese gewaltsame Lösung ablehnen oder zumindest eine andere bevorzugen. Andererseits benutzen sie sadistische Machtphantasien, die von faschistischer Gewalt raunen, sie also benennen, ohne auf ihre aktive Umsetzung zu zielen, oder sie benennen und sich zugleich wieder davon zu distanzieren: zum Beispiel in der Formel von der „wohltemperierten Grausamkeit“ (Peter Sloterdijk), Björn Höckes Rede vom „nicht Schaf, sondern Wolf sein“ oder Frauke Petrys Forderung danach, an der deutschen Grenze notfalls auch auf Flüchtlinge zu schießen. – In diesen Kontext ist wohl auch Hitlers bekannte Rede von 1939, einige Monate vor dem Kriegsbeginn, im Reichstag zu stellen, die natürlich (angesichts der laufenden Kriegsvorbereitungen und der schon lange bestehenden Vernichtungsabsichten) reine Lüge war und die deutsche Bevölkerung vielmehr darauf einstimmen sollte: „Wenn es dem internationalen Finanzjudentum inner- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkriege zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.”
  4. Umgekehrt ist der Faschismus mit seiner Gewaltentfaltung aber auch für den Autoritarismus sehr hilfreich: Dieser kann sich durch diese Gewaltentfaltung als „vernünftige“ radikale Rechte darstellen, als „besorgte Bürger“ und „anständige, gute Patrioten“. Das funktioniert in der Öffentlichkeit mit der Abgrenzung einer „Neuen“ von der „Alten Rechten“ (also dem Nazismus) äußerst gut, wobei sich nicht nur die AfD, die ich zum großen Teil (heute wohl tendenziell weniger) tatsächlich vom Faschismus abgrenzen würde, sondern auch Rechtsextremisten wie die Identitäre Bewegung in ihren Selbstdarstellungen von der „Alten Rechten“ abgrenzen. Diese Abgrenzung und dadurch Inszenierung würde aber wohl nicht so gut funktionieren, wie sie funktioniert, wenn die Alte Rechte nicht auch noch heute existiert, das heißt, von vielen radikalen Rechte vertreten und weitergetragen wird (NPD, NSU, Neonazis etc.). Der Autoritarismus kann sich daher als „vernünftig“ und „integer“ inszenieren, andererseits aber zugleich auf eine weitere Radikalisierung der Bevölkerung verweisen, die eintreten wird, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Diese Taktik funktioniert auch tatsächlich sehr gut, so wurden etwa die rassistischen Forderungen Pegidas nach 2015 von CDU/CSU-Politikern wie Horst Seehofer oder Markus Söder vielfach übernommen.

Die radikale Rechte muss mit dem so umrissenen Funktionsgefüge – das auch noch weiter differenziert und ergänzt werden müsste – als ein Gesamtphänomen aus distinkten Strömungen begriffen werden. Diese einzelnen Strömungen bilden allerdings – soweit ich sehe – kein übergreifendes „Wir“, das lagerübergreifend solidarisch wäre oder auch nur (wie die Linke) einen solchen Anspruch hätte, sondern die Allianzen sind taktisch, einzig unter der Maßgabe, dass sie dem eigenen politischen Programm zum Erfolg verhelfen. Um ihre eigene Richtung in diesen Allianzen durchsetzen, benutzen sie einander, täuschen und manipulieren einander systematisch und kündigen die Allianzen ohne viel Federlesens auf, wenn sie nicht mehr nützlich sind. Hier kann man auf jeden Fall konstatieren, dass die weiter rechts stehenden Schichten jeweils skrupelloser und kompromissloser, aber auch weniger vertrauensselig als die moderateren Schichten sind. Das extremste Beispiel ist der Röhm-Putsch 1934, in dem die Führung der NSDAP die Führung der SA (über 90 Personen) eiskalt ermorden ließ.

Die verschiedenen Schichten und Lager stehen daher in scharfer Konkurrenz: sie befehden und bekämpfen einander, aber gehen auf dem Boden dieser Konkurrenz auch Allianzen ein, in denen sie sich solange benutzen, wie sie einander nützlich sind. (Das ist eindrücklich in Bertolt Brechts Theaterstück Arturo Ui dargestellt.)