Zur Kritik der Theorie des autoritären Charakters

Die folgenden Thesen habe ich für das Tagesseminar “Der autoritäre Charakter und die reaktionären Tendenzen der Gegenwart” am 27.4.2019 in Berlin geschrieben.

Meiner Kritik liegt diese Fragestellung zugrunde: Was sind die Bedingungen, die das subjektive Potential (“Massenbewusstsein”, “Mentalität”) für das Umkippen der Gesellschaft nach Rechts (AfD, rechte Massenbewegung, Rechtsruck auch der politischen Mitte) erklären, und wie geht dieses subjektive Potential aus diesen Bedingungen hervor? Können wir die Erklärung dieses subjektiven Potentials aus den Bedingungen der Gegenwart mithilfe der Theorie des autoritären Charakters (Adorno) vornehmen?

Mit den folgenden Thesen möchte ich sagen, dass mit der Theorie des autoritären Charakters, so wie sie u. a. in Adornos “Studien zum autoritären Charakter” formuliert ist, der gegenwärtige Rechtsruck nicht verstanden werden kann (ebensowenig wie der historische Faschismus). Es bedarf der Entwicklung einer anderen Theorie des reaktionären Bewusstseins, wofür ich am Schluss einige kleine Hinweise gebe.

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Tagesseminar “Der autoritäre Charakter und die reaktionären Tendenzen der Gegenwart”

Tagesseminar am Samstag, 27. April 2019 von 10:00 – 18:00 Uhr in Kreuzberg, Oranienstr. 34 (Räume des Migrationsrats)

Veranstaltet von: AK Sozialpsychologie und Ideologiekritik

Im Tagesseminar wollen wir die Frage diskutieren, ob, und wenn ja, wie die klassischen Studien zum autoritären Charakter von Adorno et al. helfen, die reaktionären Tendenzen der Gegenwart zu erklären. Die Textgrundlage ist der Abschnitt II.B zur Konstruktion der F-Skala aus dem Buch “Studien zum autoritären Charakter” (Suhrkamp). Wir können das Buch auf englisch zusenden.

Eine gewisse Vertrautheit mit den “Studien zum autoritären Charakter” setzen wir voraus. Das Seminar ist nicht als erste EInführung konzipiert, sondern soll vor allem der gemeinsamen Diskussion dienen. Anhand von Inputs und in kleineren Workshops soll dann die Frage diskutiert werden: Wie kann die Theorie des autoritären Charakters kritisch und aktualisierend für heute gelesen werden?

Eine Anmeldung ist wegen begrenzter Teilnehmer*innenzahl erforderlicherforderlich: ak_sozpsy bei riseup.net

Workshop “Subjekt & Gesellschaft. Autonomie & Unterwerfung”

Sa, 13-04-19 13-18 Uhr Marchstr. 23 TU Berlin

Martin Fries: Subjekttheorie: Warum ist das wichtig und worüber streiten sich die Leute?

Sonja Witte: Fehltritte – Zum Unbewussten zwischen Subjekt und Gesellschaft

Emanuel Kapfinger: “Werden, was man ist” und “Kampf um Anerkennung”. Eine materialistische Ausbeutung von Hegels Subjekttheorie

Sahra Dornick: Das Postsouveräne als Deutungsrahmen und Denkfigur

Der Workshop steht allen Interessierten offen. Es wird einen Reader zur Vorbereitung geben. Um Anmeldung wird gebeten: subjekt-autonomie@riseup.net

Zur Diskussionskultur der Linken

Vor kurzem erschien eine wütende Replik auf einen Text von mir: Sie sprach meinem Text eigenen Sinn und argumentative Kraft ab und diffamierte meine Person. Das Ziel der Replik war es, meine Argumentation für die Debatte zu entqualifizieren und mich aus ihr hinauszudrängen.

Der Text von mir war „Gegen alte und neue linke Erzählungen“, erschienen in der analyse & kritik vom Januar, die Replik war von Alexander Neupert-Doppler, in der Februarausgabe derselben Zeitung.

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Krahl

Die Frage, die sich mit Hans-Jürgen Krahl verbindet, ist folgende: Kann es eine marxistische, praktisch-revolutionäre Rezeption der Kritischen Theorie geben?

Krahl ist leider sehr früh gestorben, mit 27, und es gibt keine im eigentlichen Sinn wissenschaftlichen Texte von ihm, allerdings zahlreiche Reden, Manuskripte, und kleinere veröffentlichte Texte.

Bei Krahls Texten ist eine Sache schwierig: Er schreibt und spricht immer in einer eigenartigen Vermengung von Agitator, politischer Strategie und Theorieinteresse. Das macht die Bezugnahme auf Adorno dann z. T. auch widersprüchlich.

Einige Hinweise für das Studium Krahls:

http://audioarchiv.blogsport.de/2010/02/23/material-zu-hans-juergen-krahl/

http://theoriepraxislokal.org/rev+s/Krahl2.php

http://theoriepraxislokal.org/rev+s/krahl.php

Marx’ Kritik des Utopismus

Zeitungsartikel von mir, erschienen in der Zeitung “analyse & kritik” vom 15.01.2019:

Gegen alte und neue linke Erzählungen
Marx’ Kritik des Utopismus ist noch immer aktuell

Die ersten Absätze: “Wir brauchen eine neue linke Erzählung. Wir brauchen Utopien, mit denen wir die Menschen für das linke Projekt begeistern können. Solche oder ähnliche Appell erklingen in linken Debatten immer häufiger. Die Idee: Nur so können wir eine Perspektive über das Bestehende hinaus entwickeln.

Utopien bieten aber gerade keine Perspektive über das Bestehende hinaus. Sie sind antikapitalistisch, gehen aber an der emanzipatorischen Praxis der Gegenwart vorbei.

Das betrifft auch den von analyse und kritik mit herausgegebenen Band »Neue Klassenpolitik«: Darin wird eine neue linke Erzählung für nötig befunden, die den Menschen wieder eine Zukunftsvision ermöglicht, sie mit einem »Traum von einer anderen Welt« aufrüttelt.”

“Neue linke Erzählung”?

In letzter Zeit stolpere ich ziemlich oft darüber, dass bestimmte Teile der (radikalen) Linken die bürgerlichen Ideale Freiheit, Gleichheit, Solidarität hochhalten.

Sebastian Friedrich hat ein Buch herausgegeben mit dem Titel “Neue Klassenpolitik”. Er schreibt darin:

“Die Koordinaten linker Politik sind Gleichheit und Freiheit. Gleichheit im ökonomischen Sinne als gleiche Teilhabe aller am Reichtum einer Gesellschaft, Freiheit im Sinne der freien Entfaltung, und beide gedacht als sich wechselseitig bedingend.” (https://www.neues-deutschland.de/…/1104663.linke-gesellscha…)

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Marxistisch? Linksradikal?

Ich bin im Lauf des letzten Jahres dazu gekommen, dass man die Begriffe “marxistisch” und “linksradikal” irgendwie durch andere ersetzen muss (was natürlich auch eine Bedeutungsänderung bedeutet). Denn wenn man sagt “marxistisch”, dann meinen die falschen Leute, dass man etwas zu ihrem Diskurs beiträgt – namentlich der Marxismus-Leninismus, das Hauptwiderspruchsdenken, Kommunismus als Aufgabe einer Partei; während die richtigen Leuten einen in die falsche Ecke stellen – also die des “offiziellen” Marxismus.

Vom “Linksradikalen” muss man sich mein’ ich distanzieren, weil letztlich nur diese fundamentale Negation oder Opposition zur herrschenden Gesellschaft darinsteckt, während es ja eigentlich um die Arbeit und Emanzipation innerhalb der gegenwärtigen wirklichen Beziehungen und ihren Konflikten und Widersprüchen geht. Der Kommunismus ist die “wirkliche Bewegung” (Marx). Hinzukommt, dass das Linksradikale aufgrund der fundamentalen Opposition letztlich in den bürgerlichen Kategorien der Konfrontation der politischen Macht denken muss, und nicht von einer gesellschaftlichen Macht von unten aus.

Durch was die Begriffe ersetzen? “Linksradikal” kann man ersetzen durch “antikapitalistische antiautoritäre Bewegung”. Was natürlich auch eine andere Praxis beinhaltet. “Marxistisch” muss man je nach Kontext ersetzen, z. B. “gemäß Marx”, Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft oder ähnlich.