Zur Krise der Linkspartei

Über eine der Hauptursachen für die aktuelle Krise der Linkspartei wird m. E. überhaupt nicht diskutiert, nämlich die mittlerweile erreichte Apparathaftigkeit und Institutionalisierung der Partei. Dabei ist das Problem eigentlich durch das Schicksal der Grünen mit ihrem „Marsch durch die Institutionen“ wohlbekannt: Dass nämlich durch die Etablierung der Partei eine große Zahl von Stellen entstehen, die eine längerfristige bis dauerhafte Berufsperspektive und ökonomische Sicherung versprechen, und auf die hin Linke ihre Ausbildung, ihre Bedürfnisse, ihr Leben ausrichten. Viele von ihnen werden nicht unbedingt bereit sein, dies aufzugeben, auch wenn sie dies im politischen Leben nicht öffentlich sagen können, weil die Fiktion des „politischen Idealismus“ eben zum Parlamentarismus gehört. Man macht nicht Politik, um Geld zu verdienen, sondern um der Sache willen. Teilweise werden sie es sich auch selbst nicht eingestehen. Sie werden dann keine Politik machen, mit der sie ihre Stelle riskieren.

Für die Politik der Linkspartei wirkt das aber als konservatives Trägheitsmoment. Man arbeitet auf Regierungsbeteiligung hin, um die eigenen Stellen zu sichern bzw. Karriereoptionen in den Staatsapparaten zu haben. Dieses Interesse dürfte auch als stillschweigendes Band dieser Linkspartei-Mitglieder wirken, die dadurch nicht als Individuen, sondern als Kollektiv auftreten (ohne sich entsprechend zu äußern). Das steht also klarerweise allen radikaleren und eigentlich sozialistischen Forderungen entgegen, die übers Links-Sein hinausgehen, da diese die Koalitionsfähigkeit mit SPD und Grünen verhindern. Man stellt sie natürlich im Wahlkampf auf, aber setzt sie nicht um.

Diesen Effekt kann man gerade in Berlin immer wieder beobachten: Beispielsweise wurde 2016 der Linksradikale Andrej Holm Staatssekretär für Stadtentwicklung, wurde dann aber von der Partei fallengefallen, um den Koalitionsfrieden nicht zu gefährden. Im Wahlkampf 2021 unterstützte man das Volksbegehren zu Deutsche Wohnen Enteignen, stellte sich in der Koalition aber nicht den Manövern der SPD entgegen, die das Volksbegehren mittlerweile erfolgreich zerbröselt haben.

Das taktische „Problem“ mit dieser Strategie der Pseudo-Radikalität (die also nur ein sozialistisches Gewand hat, praktisch aber bürgerlich agiert) ist, dass die Linkspartei diese Funktion gar nicht erfüllen kann, weil sie von SPD und Grünen für je unterschiedliche Milieus schon erfüllt wird. Wähler:innen, die an bürgerlicher Politik mit linkem Anstrich interessiert sind, wählen dann doch lieber Parteien mit definitiven Machtoptionen, während sozialistische Wähler:innen mehr und mehr von der Linkspartei enttäuscht sind.

Voilà die Krise und der sukzessive Stimmverlust der Linkspartei.

Man müsste also gegen dieses stillschweigende Kollektiv der Leute, die ihre Berufsperspektive mit der Partei verbunden haben, angehen. Das wird aber sicher ein recht ekelhafter Kampf werden, weil es eben nicht nur um politische Überzeugungen geht, sondern die eigene Existenz. Dieses materielle Interesse wird natürlich abgestritten werden und es wird von „Misstrauen“ zwischen Genoss:innen die Rede sein.

Es bräuchte also meiner Meinung nach eine substantielle Selbstreflexion und ein kollektiver Entschluss der Partei, dass es in der Partei nicht um Berufsperspektiven geht, und dafür müssten Mechanismen eingerichtet werden. Dieser Entschluss wird aber nicht einfach zu haben sein, weil man dafür gerade gegen die kämpfen und sich wahrscheinlich auch von denen trennen muss, die letztlich wegen ihrer Berufsperspektive in der Partei sein.