nd-Artikel zum Rechtsruck und der fehlenden Klassenpolitik der Linken

Ich habe einen Artikel für das nd (29.09.2023) geschrieben, in dem ich die derzeit verbreitete Erklärung des Rechtsrucks kritisiere, derzufolge die fehlende Klassenpolitik die Ursache sei.

Ich zeige, wie substanzlos diese Erklärung ist, stelle eine eigene Erklärung dagegen und skizziere einen sozialistischen Antifaschismus, der der radikalen Rechten effektiv etwas entgegensetzen könnte. Der setzt aber nicht auf Klassenpolitik, sondern auf Kulturrevolution in Orientierung an 1917 und 1968 (ohne dabei die Klassenpolitik auszuschließen).

Marcuse und der Poststrukturalismus von Deleuze/Guattari

Kritische Theorie und Poststrukturalismus gelten traditionell als extreme Gegensätze. Betrachtet man jedoch spezifisch die Theorien von Marcuse und von Deleuze/Guattari, so ergibt sich ein ganz anderes Bild. Schon die Einflüsse ähneln einander: Marcuse ebenso wie Deleuze/Guattari (anders als Kritische Theorie bzw. Poststrukturalismus sonst) rezipieren die marxistische Revolutionstheorie, den Surrealismus[2] und den Existenzialismus[3]. Mit dieser Nähe dürfte auch die herausragende Bedeutung Marcuses im französischen 1968 (anders als die der anderen Kritischen Theoretiker) zusammenhängen, sowie die nachfolgende Marcuse-Rezeption des Anti-Ödipus[1]).

Die Auffassung des extremen Gegensatzes rührt hauptsächlich von einer Reduktion der Kritischen Theorie auf den späten Adorno und einer Konstruktion eines „der“ Poststrukturalismus im Singular („French Theory“). Die Kritische Theorie wäre dann von Vernunft, Autonomie des Individuums, Totalitätskritik geprägt, der Poststrukturalismus dagegen von Irrationalismus, Subjektlosigkeit, Fragmentierung. Wenn man dagegen einzelne Autor:innen spezifisch miteinander vergleicht, ergibt sich schnell ein ganz anderes Bild.

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Wilhelm Heitmeyers „Signaturen der Bedrohung“: Eine dialektische Theorie der radikalen Rechten

Wilhelm Heitmeyer legt mit den zwei Bänden der Signaturen der Bedrohung[1] eine umfassende Theorie der gegenwärtigen radikalen Rechten vor. Es handelt sich dabei um eine kritisch-dialektische Theorie, weil sie die verschiedenen Aspekte und Ursachen der radikalen Rechten so miteinander in Beziehung setzt, dass sie anhand der Interdependenzen und Interaktionen dieser Aspekte und Ursachen die radikale Rechte in ihrer komplexen Gesamtheit darzustellen vermag.

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Kritik der Erklärung des Rechtsrucks durch fehlende Klassenpolitik

Seit der Übersetzung von Didier Eribons Buch Rückkehr nach Reims (2016) ist in der deutschen Debatte über die radikale Rechten eine extrem problematische Erklärung des Aufstiegs der radikalen Rechten verbreitet, die dessen Ursache in der fehlenden Klassenpolitik der Linken sehen, welche sich nur mehr um Identitätspolitik kümmere. Das wird vor allem von politischen Akteur:innen vertreten, unter anderem vom Wagenknecht-Flügel der Linkspartei, sowie von trotzkistischen, marxistisch-leninistischen und neoleninistischen Gruppen – also insgesamt von „orthodox“ geprägten Strömungen der Linken.[1]

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Allianzen von Autoritarismus und Faschismus

Den Erfolg und die Schlagkraft der radikalen Rechten kann man nur adäquat einschätzen, wenn man ihre teilweise sehr distinkten Strömungen in ihren spezifischen Verhältnissen analysiert. Das gilt sowohl für die historische radikale Rechte in den verschiedenen Ländern als auch heutzutage.

Das Gesamtphänomen der radikalen Rechten in ihren Erfolgschancen und der von ihr entwickelten Wucht wird nicht dadurch verständlich, dass man die radikale Rechte als monolithischen Block, etwa als „die Nazis“ und „die Faschos“ begreift, sondern erst durch die spezifischen, unterschiedlichen Formen ihres Zusammenarbeitens und ihrer wechselseitigen Instrumentalisierung.

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